2024
September 2023
Silvio Raciti: Wilhelm Tell als christlicher Hausvater in Jeremias Gotthelfs "Der Knabe des Tell". – Jeremias Gotthelfs historische Erzählung für die Jugend "Der Knabe des Tell" (Berlin: Julius Springer, 1846) ist vor dem Hintergrund der diskursiven, politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Schweizer Nation in den 1840er-Jahren zu lesen. Gotthelf rückt Tells Sohn, als Identifikationsfigur für Jugendliche, ins Zentrum der Geschichte und lässt ihn schliesslich in der Schlacht am Morgarten den Heldentod sterben. Die christliche Erziehung des Sohns durch den vorbildlichen Hausvater wird zur wahren Meisterleistung Tells stilisiert. Die Umformung des Mythos entschärft in christlicher Perspektive die Problematik der Tell-Geschichte für den nationalen Mythos. Die Schweizer Nation gründet so nicht auf einem Tyrannenmord, aber auf dem intakten christlichen Haus, das die Grundlage für politische Partizipation im republikanischen Gemeinwesen sowie für Heldenmut und Aufopferungsbereitschaft für die nationale Gemeinschaft bildet. Diese einfache, sich wiederholende Botschaft des Werkes, welche von der zeitgenössischen Jugend durchaus zu verstehen war, ist mit Sticheleien und Seitenhieben gegen radikal-liberale Parteiführer im Kanton Bern durchsetzt. (erschienen in: Guillaume Tell, mythe politique et icône culturelle. Hg. v. Jean-François Candoni, Isabelle Ruiz und Alexis Tautou. Strasbourg: Presses Universitaires 2023)
August 2023
An der Zentralbibliothek Zürich führte die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf an zwei intensiven Tagen eine Summer School mit vielen Inputs durch. Das Spektrum der Themen in der digitalen Editorik war breit und reichte von praxisnahen Einführungen in die TEI-Grundlagen bis hin zu komplexen Fragen der Usability und Vernetzung der Editionen. In einer sehr positiv erlebten Grundstimmung wurden reflektierte und teils auch kritische Blicke auf den Stand der Entwicklung gelegt. Die digitale Editorik wartet auf einen Innovationsschub in der nächsten Generation von philologisch und historisch ausgebildeten Editionsspezialist*innen, welche die digitale Entwicklung innovativ vorantreiben. Dann werden auch im Netz künftig die hohen philologischen Standards der Textphilologie, der Kommentierung und der hermeneutisch abgesicherten Informationsqualität noch besser umgesetzt werden können. Den beiden Organisatoren an der Zentralbibliothek Zürich, Dr. Elias Kreyenbühl und PD Dr. Jesko Reiling, sei herzlich gedankt. Das Programm wurde bestritten von Mitgliedern der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf: Karin Aeschlimann, Hanne Grießmann, Dr. Manuela Heiniger, Dr. Silvio Raciti, Dr. Roland Reichen, Dr. Patricia Zihlmann, PD Dr. Christian von Zimmermann. In spannenden Abendvorträgen von Stefan Dumont (Berlin) und Dr. Maria Effinger (Heidelberg) wurden zudem Einblicke in Fragen der Offenheit von digitalen Editionen sowie der Entwicklung der Universitätsbibliotheken im digitalen Zeitalter zu Informations- und Publishing-Zentren gegeben. Dr. des. Yann Stricker und Reto Baumgartner ergänzten das Tagungsprogramm mit Einblicken in die Zürcher Infrastruktur. Den Teilnehmer*innen aus Deutschland und der Schweiz sei für Ihr Engagement sehr gedankt. Nicht alle, die wollten, konnten einen Platz erhalten. der Andrang war so gross, dass wir eine Wiederholung der Summer School sehr ernsthaft in Erwägung ziehen.
Juni 2024
Zu den Aufgaben einer digitalen Edition gehört es nicht zuletzt, die eigenen Arbeitsgrundlagen durchsichtig zu machen und öffentlich zugänglich zu publizieren. In einem ersten Schritt legt die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf nun die Richtlinien zur Kodierung der Texte und Kommentare in der Edition offen.
In einem umfangreichen Handbuch werden die Editions- und Kodierungsrichtlinien dokumentiert. Die Kodierung der Texte und Kommentare folgt dem Anspruch, hohe Standards der Verzeichnung von Metadaten, ein projekteigenes Kodierungskonzept für die Kommentardaten und insbesondere eine textgenetische Kodierung der Handschriften leisten zu können.
Die Autor*innen der Richtlinien sind Roland Reichen, Patricia Zihlmann und Christian von Zimmermann. Die Richtlinien sind als PDF auf dem Dokument-Server Boris der Universität Bern abgelegt: Reichen, Roland; Zihlmann, Patricia; von Zimmermann, Christian (12 Juni 2024). Richtlinien der (digitalen) «Historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke und Briefe» von Jeremias Gotthelf (DOI: 10.48350/197792).
März 2024
Jimmy Schmid & Christian von Zimmermann haben unter dem Titel «‹Es isch haut eifach schwarz-wyss.› Human Centered Design – Jeremias Gotthelf-Edition» die digitale Edition am Forschungstag der Hochschule der Künste in Bern vorgestellt (Institute of Design Research – HKB Auditorium, Fellerstrasse 11, Bern).
April 2024
Im Frühjahr sind zwei neue Aufsätze aus der Arbeit der Forschungsstelle hervorgegangen, in den Gotthelfs vermeintlich oder partiell tatsächlich realistisches Schreiben aus der Perspektive seiner sozialethischen oder theologischen Prämissen beleuchtet wird.
Lukas Künzler hat in der Zeitschrift für Germanistik (2014, Heft 1) eine Studie mit dem Titel publiziert: «Essenzialistische Advokavtion? Subalternität und Fürsprache in der christlich-republikanischen Sozialethik von Jeremias Gotthelf". Künzler reflektiert vor dem Hintergrund sozialethischer und postkolonialer Ansätze den Umgang Gotthelfs mit seiner Erzählfigur der Grossmutter Käthi. Theoretisch fundiert wird gezeigt, dass Gotthelf hier weder paternalistisch die arme Frau bevormundet noch als ihr Advokat auftritt. Vielmehr gewinnt Käthi in ihrer eigenen Moral, in ihrer Könnerschaft Profil.
Christian von Zimmermann hat in der Zeitschrift "Wirkendes Wort" (2024, Heft 1) eine Studie mit dem Titel «Religionslose Verkündigung in einer mündigen Welt? Jeremias Gotthelfs christliche Dichtung im Licht von Dietrich Bonhoeffers Lektüre» publiziert, welche die Frage aufwirft, was den Theologen Bonhoeffer bei der Lektüre von Gotthelfs Romanen ansprach. Welches theologische Profil erkannte Bonhoeffer als Vertreter eines der modernsten theologischen Systeme in den Werken Gotthelfs. Dabei erscheint Gotthelfs ‘realistische Schreibweise’ als eine Reaktion auf jenen Säkularisationsprozess, den traditionelle religiöse Sprechformen durchlaufen haben.
Februar 2024
Die erfolgreiche Summer School zur digitalen Editorik, die Mitarbeitende der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf an der Zentralbibliothek Zürich durchgeführt haben, ist aufgrund der grossen Nachfrage als Winter School am 8. und 9. Februar 2024 wiederholt worden. Wiederum haben sich zahlreiche Interessierte für die Plätze beworben und auch Studierende der Editionsphilologie in den Masterstudienprogrammen der Universität Bern konnten Plätze reservieren.
Das Programm wurde geleitet von Dr. Patricia Zihlmann und PD Dr. Christian von Zimmermann. Als Lehrende waren ferner beteiligt: Dr. Manuela Heiniger, Dr. Silvio Raciti, Dr. Roland Reichen, Karin Aeschlimann und Hanne Grießmann. Zwei Abendvorträge runden das Programm ab.
Januar 2024
Die Forschungsstelle veröffentlicht einen Nachruf auf den verdienten Gotthelfforscher Dr. Alfred Reber, der am 8. Januar 2024 im Alter von 92 Jahren verstorben ist.