Vorstellung
Die historisch-kritische Jeremias Gotthelf-Edition hat in ihrer Printausgabe (HKG) wie in ihrer digitalen Ausgabe (dHKG) das Ziel, die Werke des Lützelflüher Pfarrers Albert Bitzius und Volksschriftstellers Jeremias Gotthelf für die vertiefte Beschäftigung in Lehre und Forschung sowie für einen weiteren Kreis von Interessierten vollumfänglich zugänglich zu machen. Sie bietet das Gesamtwerk von Albert Bitzius erstmals in grösstmöglicher Vollständigkeit dar: Neben der erstmaligen kritischen Edition sämtlicher greifbarer Handschriften präsentiert sie zum ersten Mal alle zu Lebzeiten des Dichters erschienenen Drucke wieder in ihrem originalen Wortlaut. Dabei setzt die Edition auf eine historisch-diskursive Kontextualisierung der Werke, so dass das politische, pastorale und literarische Wirken Gotthelfs aus seiner Zeit verstanden werden kann – und seine Zeit durch das Fenster seiner Werke. Bekannte Romane werden dabei ebenso wie unbekannte Werkteile mit breiten Kommentaren versehen, welche diese vielfältigen Kontexte zugänglich machen.
Die Buchedition setzt auf eine klassische philologische Darbietung der Texte für ein akademisches Fachpublikum. Die digitale Edition hingegen will weitere Nutzungsgruppen ansprechen, neben dem Fachpublikum auch Lehrpersonen und sonstige Interessierte. Die zentrale Aufgabe der digitalen Gotthelf-Edition sehen wir darin, für die verschiedenen Nutzungsgruppen einen intuitiv nachvollziehbaren Zugang zu allen sie interessierenden Editionsbestandteilen zu schaffen. Dabei nutzt die Edition die erweiterten medialen Möglichkeiten zur Textpräsentation in unterschiedlichen Ansichten (Lesetext, genetischer Text, Textcodierung, Faksimile) sowie innovative Orientierungshilfen, Navigationsmöglichkeiten und Visualisierungsformen, wie sie sich in den letzten Jahren im Rahmen der digital humanities zu etablieren begannen: Zeitstrahl, Kalender, Archivmappen, Werkzusammenhänge, Schlagwortwolken, thematische Übersichten, kombiniert mit intelligenten Suchmöglichkeiten. Über mannigfaltige Verknüpfungen (Register, Entitäten, Normdaten) sind die Editionsinhalte untereinander und mit externen Ressourcen verbunden, die zusätzliche Kontextinformationen bieten (Editionen, Lexika, Wörterbücher, Datenbanken).
Kommentar
Für die Neuedition stellt sich sehr rasch ein Vermittlungsproblem für die Texte ein: Die zahllosen politisch-historischen Anspielungen, der konfessionelle Hintergrund der Texte und ihre sprachliche Gestaltung bieten Hürden, die sich besonders bei der Verbreitung der Texte in Schulen oder im deutschsprachigen Ausland bemerkbar machen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Texte in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang zu kommentieren. Eine solche kommentierte Ausgabe kann künftig auch die Basis für nachfolgende Leseausgaben bilden, wie sie auch im Schulunterricht einzusetzen wären. Sie beschränkt sich freilich nicht auf die Vermittlung der Texte; vielmehr werden Gotthelfs Texte erst dadurch wieder in ihren ursprünglichen Kontexten erkennbar, wenn sie in ihrer ursprünglichen kommentarfunktion gegenüber Zeitentwicklungen gelesen werden können – heutigen Leserinnen und Lesern, besonders auch der historischen und literarhistorischen Forschung werden sie so zu Fenstern in die Zeit von restauration, Regeneration und frühem Bundesstaat.
Die Kommentierung erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von HistorikerInnen, TheologInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen, die in der Forschungsstelle eng zusammenarbeiten. Durch die wissenschaftlichen BeirätInnen ist dieses Fachspektrum in ebenfalls interdisziplinärer Zusammensetzung ebenfalls gewährleistet.
Texte
Die Texte werden vollständig nach editionsphilologisch erprobten Kriterien eingerichtet. Abgedruckt werden, soweit überliefert, erstens die von Gotthelf autorisierten Erstausgaben in Verbindung mit handschriftlichen Fassungen und späteren Überarbeitungen und zweitens Gotthelfs Bearbeitungen seiner Texte für den deutschen Buchmarkt, wie sie überwiegend im Verlag von Julius Springer erschienen sind.
Die Berücksichtigung sämtlicher Fassungen in ihrer originalen Gestalt ist ebenfalls ein Novum gegenüber früheren Ausgaben. Jeder Roman, respektive jede Werkabteilung wird mit einem umfassenden Einführungskommentar und Stellenerläuterungen versehen, welche die Entstehungsbedingungen und den geschichtlichen Kontext zugänglich machen.
Ziele
Wir sehen eine besondere Herausforderung darin, die Ausstrahlung von Gotthelfs Reputation als Erzähler von Weltformat im gesamten deutschen Sprachraum zu erforschen und den Gründen für seine Erfolge und Popularität auch in Deutschland nachzugehen. Die HKG soll dazu beitragen, dass Gotthelf als Klassiker des 19. Jahrhunderts von Weltrang neben Gottfried Keller, Heinrich Heine, Adalbert Stifter und Annette von Droste-Hülshoff wahrgenommen wird, deren Werke in bedeutenden Editionen bereits erarbeitet worden sind oder jedenfalls bereits seit Jahrzehnten erarbeitet werden.
Ziel der Gotthelf-Edition ist es seit der Begründung gewesen, die nachhaltigste Lösung anzustreben, um Gotthelfs Werk dauerhaft und vollständig im kulturellen Gedächtnis Europas zu bewahren und für die Gegenwart kommentierend zu vermitteln. Dies vermag eine Ausgabe, welche die Grundlage für künftige Textausgaben ebenso zu bilden vermag wie sie die akademische Forschung anregt, weit mehr als eine rasch publizierte Textausgabe, die ohne nachhaltigen Einfluss auf Forschung und Schule bleiben muss.
Für wünschenswerte Schul- und Auswahleditionen ist zunächst eine philologisch fundierte Textgrundlage zu schaffen und Entstehungs- und internationale Wirkungsgeschichte der Gotthelf-Texte zu erschliessen. Dieser Aufgabe stellt sich die HKG.